Die Vita von Oksana Chusovitina (37) ist den meisten Turninteressierten bekannt. Oksana startet seit 2006 für Deutschland*. Wie wurde sie hier angenommen?
Weltweit ist Oksana aufgrund ihrer Erfolge hoch akzeptiert. In Deutschland bewundert man sie ebenfalls, aber es war ein langer Prozess bis man sie als Persönlichkeit und als deutsche Turnerin angenommen hat …
… woran lag das?
Einige Trainer fragten sich, warum der DTB jemanden einsetzt, der schon so alt ist. Aber das Einzige, was zählt, ist ihre Leistungsfähigkeit. Und viele junge Athleten konnten nicht verstehen, warum Oksana viel weniger trainieren muss. Während z.B. die anderen drei Stunden in der Halle waren, zog Oksana ihr Programm in 1,5 oder 2 Stunden durch und ging dann in die Sauna.

Das hört sich nach einer selbstständigen, eigenwilligen Athletin an. Wie gelang es, dass die Mannschaft sie akzeptierte?
Oksana kann sehr zurückhaltend sein, hat relativ wenige enge Kontakte und ist absolut fokussiert auf ihre Aufgaben. Der Durchbruch in Bezug auf unser Team kam im letzten Jahr vor den Weltmeisterschaften in Japan, als die Trainer und die Turnerinnen gemerkt haben, wie wertvoll sie für die gesamte Mannschaft sein würde. Oksana gibt dem Team Sicherheit und verstärkt es, obwohl sie keine führende Rolle spielt.
Alter & Leistungsfähigkeit
Was konnten die jungen Turnerinnen von der erfahrenen Oksana lernen?
Ich denke, Oksana hat dieser Generation beigebracht, was man mit Professionalität und Enthusiasmus erreichen kann. Als Turnerin ist sie verlässlich und brachte immer ihre Leistungen, wenn sie gesund war. Denn sie nimmt jede Aufgabe, egal ob es Deutsche Meisterschaften, ein Weltcup oder Olympische Spiele sind, immer gleich ernst. Bis heute bereitet sie sich auf jeden Wettkampf sehr gewissenhaft vor und kann sich auf den Punkt auf ihren Auftritt konzentrieren.

Wie erklären Sie es sich, dass Oksana im für eine Turnerin biblisch hohen Alter noch in der Weltklasse mithalten kann und 2011 WM-Silber im Sprung gewann?
Sie hat ab dem Alter von sechs Jahren eine hohe Trainingsintensität im UDSSR-System durchlaufen. Von klein auf hat sie intensiv trainiert und so viele Bewegungen gelernt, dass Vieles tief verankert ist. Insgesamt ist Oksana für mich ein Wunder, sowohl physiologisch als auch biologisch. Denn trainingswissenschaftlich ist es kaum zu erklären, wie man in diesem Alter noch so schnell sein und solche Kräfte entwickeln kann, um Weltklassesprünge zu absolvieren. Abgesehen von dem jung gebliebenen Körper nutzt Oksana ihre immense Erfahrung, und die Liebe zum Turnen treibt sie weiter an.
Bleibt Oksana Chusovitina dem deutschen Turnen nach ihrer Karriere verbunden?*
Oksana wird ihre langjährige Karriere mit den Olympischen Spielen in London, ihren sechsten seit Barcelona 1992, beenden. Ich bin froh, dass wir für sie eine Stelle als Trainerin in Bergisch Gladbach einrichten können. Sie will unbedingt in Deutschland bleiben, ihren Sohn hier aufwachsen lassen und hat dafür ihre Cheftrainerposition in Usbekistan aufgegeben.

*Leistungssport, 2012