Tischtennis: Jörg Roßkopf über Stärken der Chinesen

Wie entwickelt sich Tischtennis auf internationalem Niveau ?

Früher war Tischtennis mit dem Zelluloid-Ball mehr taktisch ausgeprägt. In den letzten Jahren kommt immer mehr Power und Athletik ins Spiel. Diese Entwicklung wird durch den neuen Plastikball nochmals forciert, weil der Ball nicht so reagibel ist…

… diese Faktoren spielen den Asiaten in die Hand. Wie sehen die Anforderungen aus und wie können die Europäer mithalten ?

Die Europäer können mit den Asiaten in puncto Power kaum mithalten. Außerdem verbringen speziell die Chinesen wesentlich mehr Zeit mit Training und erreichen auch deshalb ein höheres Niveau.

Wir müssen Raffinesse und Spielübersicht einsetzen, um eine Chance zu haben. Diese Fähigkeiten zeichnen z.B. Timo Bolls (35) Spielweise aus. Nur so konnte er so lange mit den Chinesen mithalten und kann ihnen immer noch „einen Zahn ziehen“.

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Wie wirken sich die Trainingsintensitäten auf die Karrieredauer aus ?

Die Karrieren der Chinesen dauern nicht so lange, mit ca. 26, 27 Jahren hören sie auf. Bei der Menge an Spielern, der Intensität des Trainings und der Konkurrenz nutzen sie sich schneller ab. Aber die Chinesen können aus einem schier unerschöpflichen Arsenal an Top-Spielern schöpfen. Bei uns haben wir weder ein solch hohe Leistungsdichte noch die Anzahl an Spielern. D.h. wir müssen unsere wenigen Topleute über längere Zeit hegen und pflegen – und sie bestmöglich betreuen.  

Wodurch zeichnet sich das Spielsystem der Chinesen aus und wie kommen die Europäer damit zurecht ?

Die Chinesen spielen mit viel Power, die auf einer sehr Schlag-Technik und Beinarbeit aufbaut. Diese Aspekte fließen in ein Spielsystem ein, mit dem sie möglichst schnell spielen und den Gegner unter Druck setzen.

Um solche Schläge genauso schnell zurückspielen, braucht man ähnliche Voraussetzungen. Bei dieser mehr körperlichen Spielweise kann momentan nur ein Dimitrij Ovtcharov mithalten. Die anderen Europäer, ein Vladimir Samsonov oder Timo Boll – also sowohl ältere und als auch jüngere Spieler – müssen über die Finesse gehen…

… können Sie das „über-die-Finesse-gehen“ genauer erklären ?

Unsere Chance, das war früher wie heute so, liegt in der Spielübersicht, Platzierung, Rotationswechsel – damit müssen wir arbeiten. Z.B. müssen unsere Spieler die Schläge beim Aufschlag-Rückschlag-Spiel so platzieren, damit das Power-Spiel garnicht zum Tragen kommt. Sowie die Chinesen aber in den Ballwechsel, in ihren Schlag-Rhythmus kommen, sind sie meistens überlegen.

Tischtennis in Deutschland und China

Gibt es einen Spieler, der diese Inhalte erfolgreich gegen die Chinesen umsetzen konnte ?

Timo Boll. Seine Fähigkeiten, seine Raffinesse und sein Spielstil sind beispielhaft, um die Chinesen zu entwaffnen. Nicht umsonst war er die Nr. 1 der Welt (2003) und wird in China für seine Spielkunst bewundert.

Erst seitdem Timo älter, bzw. ein bißchen langsamer geworden ist und nicht mehr die Highlights in seinem Spiel hat, bekommen sie ihn in den Griff. Aber bei großen Turnieren wie einer WM oder bei Olympischen Spielen kann er in meinen Augen weiterhin bei den Besten mitspielen und ist für eine Überraschung gut.

Warum hat Timo Boll weiterhin Chancen im internationalen Tischtennis und was leiten Sie daraus ab ?

Timo kann so variabel spielen, daß die Chinesen nicht wissen, was sie gegen ihn tun sollen. Bisher konnten sie ihn nicht kopieren, geschweige denn, ihr Spielsystem auf seine Variabilität einstellen. Und so kann er sie weiterhin „auf dem falschen Fuß“ erwischen. Zusätzlich genießt Timo sehr großen Respekt in China. D.h. aufgrund seiner Erfolge und Erfahrungen kann er den Chinesen jederzeit selbstbewußt entgegen treten und weiß, wie er die Top-Spieler zu nehmen hat.

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Welche Eigenschaften bringt die Nr. 1 der Weltrangliste, Ma Long, mit ?

Ma Long kann aus allen Spielsituationen eine große Schlag-Geschwindigkeit aufbauen. Das schafft er, weil er körperlich sehr stabil ist und so extreme Wege gehen kann. Für mich stellt er das beste Beispiel für die intensive Ausbildung im chiniesischen Schüler- Jugendalter dar. Die Schläge hat er millionenfach wiederholt, die Techniken sind perfektioniert – und die kann er jederzeit stabil abrufen.

Wie sieht das jugendliche Training in China im Vergleich zu Deutschland aus ?

Bei uns spielen 7-, 8-, 9-Jährige ca. 2 Mal pro Woche Tischtennis, steigern das auf 3 und irgendwann 4 Mal. Dagegen klotzen die Chinesen in der Zeit schon täglich richtig ran. Allein wenn man die Trainingseinheiten in der Zeit addiert, haben sie schnell 2 Jahre Vorsprung. Und wenn man das in der Altersklasse jeden Tag macht, reicht die Summe an Schlägen allein schon, um auf ein ganz anderes-viel höheres Level zu kommen.

Welche Inhalte und Ziele stehen der Jugend-Arbeit in China im Vordergrund ?

Dort werden die technischen Grundlagen sehr früh gelegt. Vorrangig legen sie das Augenmerk auf die  Beinarbeit und die Vorhand, diese Techniken werden erstmal intensiv trainiert.

Tatsächlich machen die Chinesen sehr viele, einfache Übungen. Aus meiner Sicht baut das chinesische System auf eher stupides, einseitiges Training. Im Vordergrund steht die Quantität an Schlägen, d.h. Übungen mit Balleimer-Training gehören im Schüler-Bereich zur Tagesordnung. Z.B. spielen sie 100 Vorhand-Bälle am Stück.

Leistungssport, 2016


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